"Die Wespe auf meiner Hand"
- über ein Erlebnis im Sommer 2015
An einem Abend im Juli 2015 entdeckte ich in meinem Glas mit Apfelschorle eine Wespe, die da völlig kraftlos herum strampelte. Genervt vom ganzen Tag, nahm das Glas und wollte es gerade mit dem Gedanken, ach scheiss auf die Wespe in den Abfluss schütten.
Das Glas auf die Spüle zubewegend, dachte ich warum sollte ich das, ihr gehts gerade Kacke und daran kann ich ja was ändern.
Ich hielt kurz inne, hab das Glas auf meiner Hand vorsichtig ausgeschüttet, die Wespe zwischen den Fingern aufgefangen und sie vorsichtig mit Wasser abgespült, um sie von der klebrigen Apfelschorle zu befreien. Dann hab ich sie auf einem Stück Küchenrolle abgesetzt. Sie fing an zu laufen, ganz langsam, eher kriechend. Dort, wo sie lang gelaufen war, hinterließ sie eine bestimmt 8 cm lange Wasserspur. Ich dachte darüber nach, wie es sein kann, dass soviel Wasser an einer kleinen Wespe hängen kann. Als sie weiter lief und beinahe von der Arbeitsplatte fiel, hielt ich meinen Handrücken hin und sie krabbelte drauf.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich, mich in einem Raum mit einer Wespe befindend, keine Angst gestochen zu werden. Sie blieb stehen und setze sich hin, ich setzte mich ebenfalls und wartete was wohl als nächstes passieren würde. Ich ging so dicht mit meinem Kopf ran, dass ich sie gerade noch scharf sehen konnte, und beobachtete sie ganz genau. Sie hat sich nicht bewegt und sich scheinbar ausgeruht. Dass sich mit meinem, aus ihrer Perspektive, riesigen Ballon nur 10 Zentimeter von ihr entfernt war, schien sie einen Furz zu interessieren. Sie fing an sich zu putzen mit ihren Vorderbeinen über Ihre Fühler zu streichen . Immer abwechselnd. Linkes Bein, rechtes Bein, linkes Bein, ab und zu im Kreis drehen, dann wieder linkes Bein und immer so weiter.
Bis auf die Drehungen, sah das Ganze ungefähr so aus, wie meine Kater die sich an der Pfote lecken, um dann damit über ihren Kopf streichen - als würde das irgendwas bringen. Weil das so interessant und witzig aussah, konnte es mir gar nicht lange genug ansehen. Ich hoffte, sie würde erst damit aufhören, wenn ich müde bin und ins Bett muss. Das sah so schön aus, dass ich ohne es zu wollen, anfing zu weinen.
Wie lange sie sich da geputzt hat, kann ich gar nicht genau sagen. Irgendwas zwischen 5 und 25 Minuten. Auf jeden fall hörte sie irgendwann damit irgendwann auf, saß noch etwas und krabbelte ein wenig umher. Dann hob sie plötzlich ab. Ich öffnete das Fenster, sie flog hinaus und verschwand in der Dunkelheit. Nach ca. einer Minute kam sie nochmal zu mir reingeflogen. Sie drehte ein paar Runden um meinen Kopf und dann wieder ab zum Fenster raus. Auch wenn es albern ist, fühlte es sich für mich so an, als wolle sie auf Wiedersehen sagen.
Ich ging ins Bett und dachte noch ein wenig an sie. Fühlte mich wohl und schlief ein.
Auch wenn ich mich nicht als der Retter der Welt empfand, musste ich an diesen Spruch denken:
»Wer eine einzige Seele zerstört, zerstört die ganze Welt. Und wer eine einzige Seele rettet, rettet die ganze Welt«
(Jerusalemer Talmud, Sanhedrin 23 a-b 12).